Wüstes Ödland und ein Hauch von Schnee. Davor ganz groß ein Kasache auf der Jagd, der einen letzten Blick mit seinem dressierten Adler austauscht, bevor sich das majestätische Tier von seiner Hand in die Lüfte aufschwingt. Oder: Zwei Indianerkinder mit Baströckchen und Federschmuck drücken sich in einer Bretterbude irgendwo in Amazonien an die Wand: Verunsichert schauen sie auf ein Maschinengewehr, das dicht vor ihren Gesichtern in der Hand eines Soldaten baumelt. Oder: In der Dämmerung hockt ein alter Wahrsager der afrikanischen Dogon am Boden und zeichnet magische Figuren in den Sand. Viele der großformatigen Fotos im Atlas der Völker sind spektakulär. Ob sie die Menschen "so zeigen, wie sie wirklich sind", sei dahingestellt: Im Vordergrund steht das Exotische, und man sieht selten, dass es heute fast in jedem Winkel dieser Erde Fernseher und Coca-Cola gibt. Die kurzen, lexikonartigen Artikel über rund 200 ausgewählte Ethnien aller Kontinente sind da differenzierter: Sie stellen neben Ritualen und Religionen auch Alltag, Wirtschaft und Geschichte sowie die aktuelle politische Situation der jeweiligen Völker dar. Die Übersetzung aus dem Englischen lässt allerdings zu wünschen übrig: Das "Kettengebirge" (statt "Gebirgskette") ist nur ein Beispiel unter vielen. Und wenn man Sätze wie "die Arrernte in Zentralasien sind vielleicht die berühmtesten Ureinwohner Australiens" liest oder entdeckt, dass schon im Vorwort der Name eines Autors falsch geschrieben ist, fragt man sich, wo der Lektor war. Immer wieder stößt man auch auf inhaltliche Fehler: Die Mataco und Aché lebten nicht in den Anden, sondern schon immer im Gran Chaco. Und die Embera wohnen weder -- wie behauptet wird -- in Bolivien noch in Mittelamerika, sondern im kolumbianischen Chocó etc. Bedauerlich ist auch die schlechte Qualität der Karten, auf denen zwar Orte, aber erstaunlicherweise keine Ethnien verzeichnet sind. Ein tief seriöses völkerkundliches Kartenwerk darf man sich also nicht erwarten. Man sollte den National Geographic Atlas der Völker eher als schönen und trotz einiger Schlampereien informativen Bildband über die kulturelle Vielfalt unserer Welt sehen. --Bernhard Wörrle Quelle:
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