Eine der zentralen Fragen der Philosophie -- manche sagen, die einzige von Belang -- ist spĂ€testens seit Kant jene nach unserem Erkenntnisvermögen. Umso nötiger wĂ€re heutzutage eine Medienphilosophie, wo doch das meiste, was wir von der Welt um uns wahrnehmen, medial vermittelt ist. Und Mike Sandbothe versucht mit seiner Arbeit nichts weniger als die Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet -- ein ebenso ambitioniertes wie lohnendes Unterfangen. "An die Stelle eines hierarchischen ReprĂ€sentationsgefĂŒges, in dessen Zentrum die Ausrichtung der Zeichen auf die transparente Anwesenheit des Signifikats und die durch diese Anwesenheit hindurch realisierte PrĂ€senz des reprĂ€sentierten Gegenstandes steht, tritt im Internet ein Geflecht von telematischen ApprĂ€senzen und pragmatischen Verweisungen." -- Wer SĂ€tze solchen Kalibers liebt, wird mit Sandbothes Buch wohl recht glĂŒcklich werden. Alle anderen mĂŒssen sich durch den ĂŒblichen akademischen Wust (dem Buch liegt eine Habilitationsschrift zugrunde) aus sprachlich schwer Verdaulichem, Massen von FuĂnoten, inhaltlichen Umwegen und ausfĂŒhrlichem theoretischen VorgeplĂ€nkel kĂ€mpfen. So muss man fast bis zur HĂ€lfte des Buches warten, bis es in medias res geht und McLuhans Unterscheidung zwischen kĂŒhlen und heiĂen Medien diskutiert wird, und in welche Kategorie das Internet gehört. Dabei wĂ€re der Ansatz des Philosophieprofessors in spe eigentlich lobenswert. Weil er sich nicht auf eine rein theoretische Durchdringung des Themas beschrĂ€nkt, sondern eben ganz pragmatisch den tagtĂ€glichen Gebrauch des Internets durch Mensch und Wirtschaft unter die Lupe nimmt und die brisante Frage diskutiert, inwieweit das neue Medium "den normativen Zwecken einer aufklĂ€rerisch-demokratischen Gestaltung menschlichen Zusammenlebens" dienen kann. Der springende Punkt dabei: War das Internet in seinen AnfĂ€ngen ein offenes, anti-hierarchisches und dezidiert nicht-kommerzielles Medium, steht nun aber dessen Ăkonomisierung im Vordergrund. Die Fusion von AOL und Time Warner stellt den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung dar. Sandbothe betrachtet auch das traditionelle SelbstverstĂ€ndnis der PĂ€dagogik, das durch das Internet vielfĂ€ltig in Frage gestellt wird, und berichtet von eigenen Erfahrungen, das Internet bei einem Philosophie-Seminar als Plattform zu nutzen. Und bei allen Problemen und Unsicherheiten, die mit dem raschen medialen Wandel der letzten Dekade einhergehen, bleibt Sandbothe in Bezug auf die von ihm angestoĂene neue Disziplin Medienphilosophie optimistisch: "MedienbrĂŒche nicht lĂ€nger nur passiv als schicksalhafte Ereignisse einer Technologiegeschichte" hinnehmen, sondern sich mithilfe eines "pragmatischen WissenschaftsverstĂ€ndnisses" neue medienpolitische GestaltungsrĂ€ume schaffen. --Christian Stahl Quelle:
|