Der junge Mann mit der Schmalfilmkamera verfolgt gelangweilt das Geschehen. Völlig betrunken hatte er neulich auf einer Redaktionsparty von der "letzten bevorstehenden Schlacht" gefaselt. Am Kronleuchter hängend. Damit war seine Praktikantenzeit bei der Bildzeitung beendet. Ohnehin hatte er als Großmaul und Wirrkopf gegolten. Geduldig beobachtet er nun durch seine Kamera den Aufmarsch, wartet auf brauchbare Bilder. "Schah, Schah, Scharlatan", skandiert die Menge. Dann der Auftritt der Polizei. Fünfhundert Schlagstöcke gegen hundert Studenten. Während drüben in der Deutschen Oper das Establishment den Klängen des Figaro lauscht, fallen die tödlichen Schüsse. Es ist der 2. Juni 1967. Der Student Benno Ohnesorg liegt tödlich getroffen am Boden. Für Andreas Baader, den jungen Mann mit der Kamera, bedeutet dies die endgültige Mobilmachung. Hier nimmt der Autor Leander Scholz seinen Erzählfaden auf. In fiktiven Szenen sucht er noch einmal die WGs und Uni-Hörsäle jener heißen Tage auf. Vietnamkrieg. Studentenproteste. Die noch junge Bundesrepublik stand vor ihrer schwersten Bewährungsprobe. Baader, hier als etwas prolliger Aufschneider gezeichnet, der sich aufgrund seiner Strichjungen- und Fabrikarbeiterfahrung zum wahren Volksrevolutionär berufen fühlt und Gudrun Ensslin (die ihm im Kampfgetümmel der Schah-Demo schicksalhaft vor die Füße gefallen war), diese merkwürdig gehemmte, nachdenkliche Pfarrerstochter, hatten dem "Schweinestaat" den Krieg erklärt. Bei seinen Innenansichten in die Keimzelle der späteren RAF legt Scholz den Schwerpunkt auf die Flucht- und Liebesgeschichte Baaders und Ensslins nach ihren Frankfurter Kaufhausbrandanschlägen 1968. Baaders Rigorosität, die ihn innerhalb der Gruppenhierarchie zum Leitwolf werden ließ, kollidiert immer wieder mit der in Gewaltfragen zögerlichen Ensslin. Politisch bleibt bei dieser Bonnie & Clyde-Story jedoch vieles im Ungefähren. Ob, wie der Verlag herausstellt, "mit dem Roman der untoten RAF vielleicht ein Bann aufgehoben und ein Märchen zu Ende erzählt" wurde, ist fraglich. Vielleicht war die Wirklichkeit doch erheblich spannender. --Ravi Unger Quelle:
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