Ein "wilder Mann" betritt die Untergrundbahn, er ist voller Wut auf die Menschen und verleiht ihr Ausdruck, sobald der Zug losfährt. Die Fahrgäste, die er bisweilen einzeln, dann wieder kollektiv anspricht, scheinen ihn nicht wahrzunehmen, sie reagieren nicht auf seine Vorhaltungen, seinen wortgewaltigen Abscheu. Diesen auszukosten, ist der wilde Mann offenbar entschlossen, er wünscht die anderen auf einen Unstern, aus seinen Augen, aber selbst auszusteigen kommt für ihn nicht in Frage: "Ich stehe hier und kann nicht anders als mich vor eurer Gesellschaft de profundis zu ekeln, von der Station Alpha bis zur Station Omega." In wütenden Schmähreden beklagt er die Hässlichkeit seiner Zeitgenossen, der "ewig Heutigen", echauffiert sich über Äußerlichkeiten wie Kleider, Frisuren, Physiognomien und über das, was er daraus herauszulesen vermeint: ausschließlich Verachtenswertes. Über Heitere und Traurige, Reiche und Arme, Mütter, Liebespaare, Geistliche, Beamte, sogar Blinde zieht der wilde Mann in seinem furiosen Rundumschlag her. Derart aufzugehen scheint er in seinen Schimpftiraden, dass er, endlich allein im Zugabteil, die verhasste Gesellschaft zu vermissen beginnt. So gibt er auch ein williges Opfer ab, als schließlich die "wilde Frau" zusteigt, um ihm ihrerseits die Leviten zu lesen. Untertagblues ist das Drama eines zeitkritisch gefärbten Weltekels, bei dem das Gezeter zur hohen Kunst gerät. In seiner erhellenden Radikalität der Verneinung und mit eindringlichen Sprachrhythmen erinnert es an Handkes frühe Sprechstücke, vor allem an die Publikumsbeschimpfung. Der Blues des wilden Mannes klingt betörend, ist erschreckend und gleichzeitig komisch in seinem allumfassenden und daher hilflosen Abscheu. Nicht auf unfeine, vielmehr poetische Art wird er ausfällig, wenn er etwa jemanden auffordert aufzuhören, ihm die "Gegend wegzulächeln". Jede Haltestelle im buchstäblichen Stationendrama hat mindestens zwei, meist drei Namen, etwa Hoboken -- Bir Hakeim -- Schönheide, die Wut des wilden Mannes hat globale Ausmaße. Sein Anspruch, an dem gemessen die heutigen Menschen ihre vernichtende Bewertung erfahren, ist der Anspruch auf Schönheit im weit gefassten Sinn. Sarkastisch, aber auch wehmütig klingt sein Kulturpessimismus, wenn er die U-Bahn-Fahrgäste fragt: "Ist es hier? Die letzte Art von Festlichkeit hier unten im Gedränge?" --Mathis Zojer Quelle:
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