Nicht ohne Stolz vermerkt der Autor, während eines Gespräches mit einem bolivianischen Ex-General und Zeugen des Mordes an Guevara, als erster über die Umstände der Hinrichtung und den Verbleib der Leiche erfahren zu haben! Die zweite große Che-Guevara-Biographie, die in diesem Jahr erschienen ist, ist noch umfangreicher als die von Suhrkamp herausgegebene. Dem Autor Jon Lee Anderson stand dabei eine Informationsquelle von unschätzbarem Wert zur Verfügung: Die Witwe Ches, Aleida March, erklärte sich zur Mitarbeit bereit, und so zog der Autor 1993 kurzerhand nach Havanna, da er dort dem Mythos des Revolutionärs am ehesten auf die Spur zu kommen glaubte. Andersons Buch stützt sich, im Gegensatz zu dem von Castañeda, mehr auf die Aussagen der Witwe, seiner fünf Kinder und der Mitstreiter Guevaras. Er kommt so dem Menschen näher und webt ein dichtes Psychogramm, das auch Fehler und Schwächen des Revolutionärs aufzeigt. Ches Biographen, noch immer in den Wurzeln des späteren Revolutionärs herumleuchtend, so auch Anderson, kommen immer wieder auf die komplizierte Mutter-Sohn-Bindung zurück, die ein Leben lang andauerte. Ches Vater, ein Zauderer -- der eigene Sohn blieb ihm ewig fremd -- spielte eine unbedeutende Hintergrundrolle in der Familie. Die Mutter, eine Art argentinische Femme fatale, erhob Che in den Status eines Familienoberhauptes, wie weit diese Rolle getrieben wurde, bleibt ein Rätsel. Che Guevara war besessen vom Ideal, ganz Lateinamerika durch eine bewaffnete Revolution von seinem Elend und seiner Unterdrückung zu befreien. Dafür kämpfte er Seite an Seite mit Castro zusammen gegen Batista, dafür vernachlässigte er viele, die ihm nahestanden (er galt als kuba-untypisch gehemmt und emotionslos), und dafür starb er, gehetzt von der bolivianischen Armee und der CIA. Andersons Biographie ist zwar etwas reißerischer im Ton als die bei Suhrkamp erschienene, dabei nicht weniger gründlich recherchiert, und wer mehr Action liebt, ist hiermit bestens bedient. --Ravi Unger Quelle:
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