Der Wiener Thomas Mach ist kein gewöhnlicher Tourist, sondern ein Reisender. Auf diese Unterscheidung legt der junge Spross einer Familie von Papier- und Kartonagefabrikanten größten Wert, als er im Auftrag des Wiener Reisebüros Auge Gottes nach Kairo fliegt. "Ein Tourist war für ihn jemand, der ein Land wie die Kulisse eines Theaterstücks betrachtete, ihm einen 'Besuch' abstattete", heißt es in dem großartigen Roman Der Strom des österreichischen Schriftstellers Gerhard Roth, "während ein Reisender auf Erfahrungen aus war, mochten sie auch noch so unangenehm sein". Unangenehme Erfahrungen erwarten Mach in Ägypten reichlich. Immerhin ist er beauftragt, die Nachfolge der Reiseleiterin Eva Blum anzutreten, die aus ihrem Hotelzimmer im 16. Stock des Kairoer Sheraton-Hotels zu Tode stürzte. Mach findet das Tagebuch der Frau und stößt in ihren Aufzeichnungen auf das unterstrichene arabische Wort für "Mörder": War der vermeintliche Selbstmord also eine Bluttat, vielleicht sogar Bestandteil einer Intrige zur Vertuschung weiterer Verbrechen? In den labyrinthischen Gassen der Metropole macht sich Mach auf die Suche nach der Wahrheit, die ihn unter anderem nach Memphis und zur Bibliothek von Alexandria geleitet und ihn immer mehr verstrickt in ein undurchdringliches Gewebe, das souverän Elemente der Kriminal-, Reise- und Entwicklungsliteratur miteinander verflechtet und -- wie die von Mach beobachteten Teppichknüpfer -- Realität und Illusion in irritierenden Bildern ein ums andere Mal unentwirrbar verbindet. Wie bei Gerhard Roth üblich (und im Zyklus Die Archive des Schweigens in immer neuen faszinierenden Varianten vorexerziert), so weitet sich auch die Reise Machs durch ein bedrohlich verzaubertes Ägypten zur beizeiten mythischen Fahrt in die "verbotenen" Totenreiche der Erinnerung aus. "Geblendet vom Sonnenlicht, das durch das Kabinenenfenster fiel, öffnete er die Augen", lautet der erste grandiose Satz des Buches. "Geblendet vom Sonnenlicht, das vom Wasser reflektiert wurde, schloß er die Augen", der letzte. Dazwischen liegt eine taghelle narrative Bestandsaufnahme der Schattensphären der menschlichen Seele und unserer rätselhaften Wirklichkeit. Wieder einmal ein großer Roth'scher Wurf. --Thomas Köster Quelle:
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