Viel zu lange befanden sich die späten Arbeiten Francis Picabias im "Giftschrank" der Kunst. Der frühe Dadaist, Freund von Man Ray und Marcel Duchamp, wurde zeitlebens für sein Verlassen der Dada-Bewegung und seine Opposition zum Surrealismus kritisiert. Ab 1933 befasste er sich u.a. mit der Umsetzung recht kitschiger fotografischer Vorlagen. Puristen unter seinen Anhängern fühlten sich beschämt und klagten ihn daraufhin der Pornografie bzw. der nationalsozialistischen Propaganda an. Später wurde gemutmaßt, er habe in den Kriegsjahren einfach Geld gebraucht, und daher mehr oder minder "opportunistische Auftragsarbeiten" angefertigt. In diesem Buch nun wird das Spätwerk Picabias systematisch dokumentiert: die so genannten "Bad Paintings", die Fotovorlagen entnommenen Akte, und die abstrakten Bilder seiner letzten Phase. Somit wird seine geistige Vorwegnahme dessen, was wir heute Postmoderne nennen, erkennbar, und die späten Bilder gliedern sich chronologisch ein in das Oeuvre eines Mannes, der ja auch (nicht zuletzt) eine Sammlung von Aphorismen unter dem Titel Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann veröffentlichte. Vier exzellente Essays, die den sehr schön gestalteten Band ergänzen, verdeutlichen noch einmal die vielschichtige Persönlichkeit Picabias, deren ehrlichen Ausdruck sämtlichen Arbeiten innewohnt, seien es die anerkanntesten Werke oder die "beschämenden" Bilder dieser letzten beiden Jahrzehnte. Ein Buch, das (auch in vielen gelungenen Gegenüberstellungen von Fotovorlage und Umsetzung) nachvollziehbar macht, was Picabia getrieben haben mag, immer wieder derartige Brüche zu vollziehen. Er befreite sich damit frühzeitig von den Fesseln des Ruhms, der Theorie und steriler stilistischer Integrität, um instinktiv und kompromisslos seinen künstlerischen Visionen zu folgen. Durch Picabia wurde der Stilbruch zu einem Prinzip geistiger und künstlerischer Kreativität. Sein stark persönlicher suggestiver Symbolismus, der, Eros und Kunst vereinigend, aus seinem Spätwerk spricht, kann hier erstmalig in diesem Umfang genossen werden. Auch, und gerade für Freunde der selbstbewussten, ironischen Postmoderne. --Tobias Robens Quelle:
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