Von Bernard Brunius stammt der zauberhafte Einfall, dass die allmähliche Verdunklung des Kinoraums vor Filmbeginn mit dem Schließen der Lider beim Schlaf gleichzusetzen sei. Luis Buñuel hätte diese Idee gefallen: Der berühmte Schnitt durch das Frauenauge in seinem Meisterwerk Ein andalusischer Hund (1929) ist nicht nur der grausamste Akt der gesamten Filmgeschichte, sondern auch ein verstörendes Symbol für den poetischen Versuch, gerade im Kino hinter die Welt des Sichtbaren zum Traumreich vorzudringen. Bei Buñuel eröffnet das Objektiv der Kamera -- "dieses Auge ohne Tradition, ohne Moral, ohne Vorurteile" -- den Blick auf ein fantastisches Terrain jenseits der wachen Welt. Im Sammelband Objekte der Begierde, der zum 100. Geburtstag des Regisseurs erschienen ist, wird diese eigentümliche Verbindung von Traumlogik und "kinematographischer Hypnose" im Werk des großen Surrealisten mehrfach sinnfällig gemacht. Enthalten sind Geschichten, Interviews und Aperçus aus Die Erotik und andere Gespenster (1986), Die Flecken der Giraffe (1991) sowie der grandiosen Autobiografie Mein letzter Seufzer (1985), die Buñuels filmische Suche nach dem "Mysterium" des Unbewussten illustrieren. Abgerundet wird das schöne Buch durch Zeugnisse von Freunden und Weggefährten wie Rafael Alberti, Fernando Rey, Max Aub und Federico Fellini. Etwas betrüblich stimmt lediglich, dass Buñuels Kinokritiken der zwanziger Jahre fehlen. Und dann erzählt das "Auge des Jahrhunderts" Buñuel noch jene hübsche Anekdote von seinem Produzenten Gustavo Alatriste, die den Zusammenhang zwischen surrealistischem Film und traumhaftem Geheimnis widerspiegelt. Alatriste hatte die seltene Angewohnheit, sich aus dem Schaffensprozess seiner Regisseure gänzlich herauszuhalten und erst das Endergebnis zu betrachten. Als Der Würgeengel (1962) fertig war, führte Buñuel ihn vor. "Wunderbar!", rief Alatriste begeistert aus, "Ich habe überhaupt nichts verstanden". --Thomas Köster Quelle:
|