Eigentlich erstaunlich, dass man ein ganzes Buch über ein Phänomen schreiben kann, das durchschnittlich nur 12 Sekunden dauert. Aber es sind halt ganz besondere Sekunden -- für die sich die Wissenschaft allerdings lange Zeit nicht sonderlich interessierte. Das hat sich inzwischen geändert, auch aufgrund besserer technischer Möglichkeiten. Weshalb Rolf Degen auf vielfältige Untersuchungen zum Thema zurückgreifen kann, um dieses höchste der Gefühle von allen Seiten zu beschreiben. Aber es gibt immer noch einige spannende, ungelöste Fragen. Allen voran die nach dem weiblichen Orgasmus: Hat er einen evolutionären Sinn -- wenn ja, warum ist er beim Koitus so unbeständig? Der Bogen, den der Autor spannt, reicht aber viel weiter: Von der Frage, was Tiere beim Sex empfinden, über die Vorgänge in Gehirn und Körper während des Höhepunkts, bis hin zu Störungen der Orgasmusfähigkeit. Wie schon bei seinem Lexikon der Psychoirrtümer (asin 3492240208) versteht es Rolf Degen ausgezeichnet, komplexe Zusammenhänge und wissenschaftliche Erkenntnisse für ein breites Publikum unterhaltsam aufzubereiten. Diesmal hat er auch seinen Hang zur Polemik besser im Zaum. Auch wenn er Sigmund Freund und seine These vom vaginalen Orgasmus genüsslich zerlegt, aber da irrte der Begründer der Psychoanalyse nun mal gewaltig. Der offenbar so rätselhafte weibliche Orgasmus ist es aber auch, bei dem Degen ein paar sehr voreilige Schlüsse unterlaufen: So erklärt er den G-Punkt schlicht als inexistent. Die bei manchen Frauen auftretende weibliche Ejakulation fertigt er gar auf einer halben Seite ab und verweist das Phänomen ins Reich der Sex-Mythen. Beides ist Unsinn, aber wenn der große Sigmund Freud bei der weiblichen Sexualität ins Stolpern geriet, warum nicht auch ein Rolf Degen. Mit kleinen Abstrichen ist Vom Höchsten der Gefühle eine sehr lesenswerte Erkundungsreise in die spannenden Gefilde der menschlichen Sexualität, bei der deutlich wird, wie viel diese paar Sekunden Seeligkeit mit dem Menschsein und der Menschwerdung zu tun haben. --Christian Stahl Quelle:
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