Spätestens seit dem Aufstieg des Phantoms der Oper aus der Pariser Unterwelt in die Musicaltheater unserer Jahrzehnte ahnen auch hier zu Lande viele von der Existenz eines unterirdischen Paris, dessen Ausmaße wohl auch den meisten Bewohnern der französischen Kapitale nicht gänzlich bekannt sein dürften. Der aufwändig produzierte Bildband von Günter Liehr (Text) und Olivier Faÿ (Fotos) dokumentiert diese verborgene Welt und verhilft beileibe nicht nur den im Untertitel erwähnten Kataphilen zu einem Wegweiser, sondern auch dem "überirdischen" Liebhaber und Kenner von Paris zu faszinierenden Einblicken in die Pariser Stadtgeschichte ab dem 12. Jahrhundert, und zwar aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive. Von der Ausbeutung damals außerhalb der Stadt gelegener Steinbrüche für den Bau von Notre Dame und der Kathedrale von Chartres bis zur späteren Nutzung dieser Hohlräume als Endlager für die Gebeine völlig überfüllter, seuchenfördernder Stadtfriedhöfe, als Versteck politisch Verfolgter von der französischen Revolution bis zur deutschen Besetzung, aber auch als abenteuerliche Attraktion für die Pariser Gesellschaft durch alle Zeiten, vermittelt das Buch unter Heranziehzung hier meist wenig bekannter Quellen, die das plastische Bild eines oft sehr anrüchigen Pariser Alltagslebens vergangener Jahrhunderte zeichnen, spannende Berichte und, nicht zuletzt dank Faÿs hervorragender Fotos, auch beeindruckende Bilder aus dem Pariser Untergrund. Dem Leser, angezogen durch die Faszination, die dieses weitverzweigte Höhlensystem, wie der Autor nicht unerwähnt lässt, auch schon auf Schriftsteller wie Hugo und Dumas ausübte, präsentiert sich en passant auch eine Hygienegeschichte dieser Metropole, deren frühere Ausdünstungen man sich spätestens seit Patrick Süskinds Parfum kaum noch vorstellen mag. Ein höchst informatives Buch, das zum Lesen und Blättern einlädt und nach dessen Lektüre der nächste Parisaufenthalt möglicherweise noch etwas tiefere Eindrücke hinterlässt. --Burkhard Steinmüller Quelle:
|