Der 1931 in Budapest geborene Theaterkritiker, -intendant, -wissenschaftler und Journalist Ivan Nagel, wurde 1955 auf Betreiben vor allem von Theodor W. Adorno und Carlo Schmid nicht, wie behördlicherseits bereits verfügt, als "unerwünschter Asylant" aus Deutschland ausgewiesen. Und dies -- von allen anderen Erwägungen einmal abgesehen -- zum großen Glück für die deutsche Kulturlandschaft, die dem 1958 eingebürgerten Theatermann viel verdankt. Ganz gleich ob als Chefdramaturg der Münchner Kammerspiele (1962 - 69), als Theater- und Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung (1969 - 71), als Intendant des Hamburger Schauspielhauses (1972 - 79), als Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in New York (1981 - 83), als Intendant des Stuttgarter Schauspielhauses (1985 - 88), als Professor an der Berliner Hochschule der Künste (1988 - 96) oder danach als Schauspielchef bei den Salzburger Festspielen. Nun hat der streitbare Kulturmensch Nagel, der im Jahr 2000 mit dem Moses-Mendelssohn-Preis ausgezeichnet wurde, unter dem Titel Streitschriften eine Sammlung von Essays aus fünf Jahrzehnten vorgelegt, die als eine sehr persönliche Kulturgeschichte gelesen werden kann und zugleich, aufgrund der sehr persönlichen Sicht auf die Weltläufe, die sich darin offenbart, als eine Art Autobiografie. Eine Autobiografie freilich nicht in dem Sinne, dass Nagel uns sein Leben erzählt. Aber er lässt uns teilhaben an seinen Erfahrungen und Einschätzungen, etwa anlässlich des Ungarn-Aufstands von 1956, des Kalten Krieges oder -- natürlich -- einzelner Ereignisse rund um die maßgebenden deutschen Bühnen. Und zu seinen Themen gehören ebenso der Jargon der Theaterkritik, Grundfragen der Kulturpolitik, der Neokonservativismus in den USA der 80er-Jahre oder der Fall der Berliner Mauer 1989. Ein lesenswerter Band voll öffentlicher Einsprüche und Einmischungen, der seinen besonderen Charme daraus bezieht, dass bei keinem der Texte nur darauf geschielt wurde "ein Buch geschrieben" zu haben. Journalismus im besten Sinne: Situationsberichte und Analysen eines scharfsichtigen "Tagschreiber(s) von Berufung". --Andreas Vierecke Quelle:
|