Wer es noch nie getan hat, sollte das gelegentlich nachholen und sich Aktfotografien der vergangenen 150 Jahre im Schnelldurchlauf ansehen: Es ist verblüffend, wie sehr sich Zeit und Gesellschaft in doch scheinbar immer gleichen Ansichten von Schößen und Armen, Brüsten, Pos und Beinen spiegeln können! Auch bei Thomas Karsten ist das so: Wer den vorliegenden Band kauft, wird in zwanzig Jahren entdecken, daß er seinerzeit auch ein Stück Zeitgeschichte erworben hat. Räume, Hintergründe, Accessoires sprechen auf stille Weise von der Herkunft der Modelle. Ohne, daß es explizit gesagt würde, sieht der Betrachter schnell: Es sind ostdeutsche Frauen, die sich ausgezogen haben, um von Karsten fotografiert zu werden. Wie häufig bei Fotoakten sind die Gesichter der Fotografierten besonders faszinierend. Gibt es östliche und westliche Physiognomien? Fast ist der Rezensent geneigt, das zu glauben. Einmal bildet die Kuppel des Berliner Domes groß und grau den Hintergrund, eigenartige, halb weibliche, halb männliche Formen, durchs Fenster gesehen, nicht ganz scharf: Davor eine schmalgesichtige Frau mit dunklen Augen und runden Hüften. Kühl blickt sie den Betrachter an. Für mich eine der schönsten Aufnahmen des Buches. Wer Karstens Band von 1995 Lust an sich besitzt, wird viele der Modelle wiedererkennen. Mich hat das angenehm berührt. Als würde eine Geschichte weitererzählt. Die Experimente mit Farben fehlen diesmal, das ist kein Verlust, sie waren nicht sehr geglückt seinerzeit. Auch in Love me wirkt nicht jedes Foto gelungen. Aber keines ist so daneben, wie der bescheuert spekulative Titel, der mit den Bildern so gar nichts zu tun hat! --Michael Winteroll Quelle:
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