Die Fotografien von Cindy Sherman faszinieren wegen ihrer beklemmenden Atmosphäre. Ähnlich wie in den Filmen David Lynchs ist der Schrecken selbst in oberflächlich idyllischen Szenen immer präsent. Der Band zeigt sowohl eine repräsentative Auswahl aus Shermans früher Serie "Untitled Film Stills" als auch Beispiele aus den Zyklen "Fairy Tales", "Disaster", "History Portraits" und "Sex Pictures", die in den späten achtziger und den neunziger Jahren entstanden. Das besondere Verdienst der Edition ist es, die Entwicklung der künstlerischen Arbeit Cindy Shermans über zwei Jahrzehnte nachzuzeichnen. Die Porträts aus den siebziger und frühen achtziger Jahren orientieren sich stilistisch an den Nouvelle-Vague-Filmen Godards, Truffauts und Bergmanns. Sie zeigen Frauen, die männlichen Erwartungen und gesellschaftlichen Klischees gerecht werden, dadurch aber offensichtlich einer nicht unmittelbar greifbaren Gefahr ausgesetzt sind. Die Protagonistinnen erinnern an Marylin Monroe, Jeanne Moreau oder Jean Seberg, und die Szenen wirken auf die Betrachter wie Standbilder aus Filmen, an die man sich dunkel erinnert. Erstaunlich ist dabei immer wieder die Wandelbarkeit Cindy Shermans, die seit über zwanzig Jahren als ihr eigenes und einziges Modell agiert. Während die Künstlerin ihr Thema, die Bedrohtheit der Seele und des Körpers, bis Mitte der achtziger Jahre eher hintergründig und atmosphärisch inszeniert, sprechen die späteren Arbeiten eine viel deutlichere Sprache. Die melancholischen Szenen werden von theatralischen und bisweilen bizarren Inszenierungen abgelöst. In greller Maskerade parodieren die Figuren weibliche Rollenklischees wie das der trostspendenden Mutter oder des exaltierten Vamps. Gleichzeitig werden die Spuren sichtbar, die die gesellschaftliche Macht dieser Stereotypen in der Persönlichkeit der Protagonistinnen hinterlassen hat. Die Arbeiten der "Disaster"-Serie zeigen schließlich die körperlichen und psychischen Folgen von gegen Frauen gerichteter Gewalttätigkeit auf eine schockierend unverblümte Weise. In den einleitenden Essays interpretiert die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, die sich mit der Studie Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik habilitierte, die Arbeiten Cindy Shermans aus feministischer Sicht. Der Kunstkritiker Ulf Erdmann Ziegler setzt sie in Beziehung zu den künstlerischen Strategien von Fotografen wie Diane Arbus, Emmet Gowin und Robert Mapplethorpe. --Doris Lösch Quelle:
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