Bittet, so wird euch gegeben! Eben noch hat man in Gerald Messadiés kürzlich erschienener Geschichte des Antisemitismus ein gewisses Theoriedefizit bemängelt, und -- voilà -- schon seziert Klaus Holz in seiner Habilitationsschrift nun mit systemtheoretischem Besteck und wahrhaft wissenschaftlicher Akribie den ideologischen Bauplan eben dieser Weltanschauung. Der Titel nimmt das Ergebnis vorweg: Der moderne Antisemitismus ist ohne den Nationalismus nicht denkbar. Doch der Weg zu dieser Erkenntnis ist das Ziel. Holz interpretiert sechs ausgewählte Texte Zeile für Zeile, wenn nötig Wort für Wort, und macht dabei den Prozess der Hypothesenbildung für den Leser auf faszinierende Weise zugleich transparent und mühevoll. Die Leitidee könnte man so auf den Punkt bringen: Judenhass hat weniger mit Juden als vielmehr mit nicht-jüdischen Deutschen, Franzosen, Österreichern zu tun, für die er eine ganz bestimmte Funktion erfüllt. In jungen oder krisengeschüttelten Nationalstaaten -- Deutschland beziehungsweise Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts -- soll die "Judenfrage" alle sozialen Konflikte übertünchen und das Volk, die Wir-Gruppe, zusammenschweißen gegen die vermeintlichen "Antagonisten der nationalen Weltanschauung schlechthin". Dabei wird nach regelmäßig wiederkehrenden Mustern argumentiert, die sich beim Historiker Treitschke ebenso finden wie beim Stammtischredner Hitler oder im Zeitungskommentar zur Waldheim-Affäre. Beispielsweise erscheinen die Juden als Täter, ihre Opfer greifen lediglich zur legitimen Notwehr. Die physische Vernichtung der "jüdischen Mitbürger" -- auch das eine perfide Vokabel der Ausgrenzung -- wird nicht explizit gefordert, doch was bleibt eigentlich noch, wenn man "dem Juden" sämtliche gemeinschaftsgefährdenden Eigenschaften zuschreibt und diese gleichzeitig zu unveränderlichen rassischen oder ethnischen Merkmalen erklärt? Nach Auschwitz wird in kodierter Form, aber nach ähnlichem Schema argumentiert, zum Beispiel bei der Vergangenheitsbewältigung auf Wiener Art. Nicht Waldheim ist das Problem, sondern "jüdische Kreise" (man ist vorsichtig geworden bei der Wortwahl!) in Amerika, die die Geschichte nicht ruhen lassen wollen. Was Holz zur Finkelstein-Debatte gesagt hätte, lässt sich nur vermuten. Nach der Lektüre seiner monumentalen Studie ist der analytische Blick der Leser jedoch so geschärft, dass sie von allein zu neuen Interpretationen gelangen -- und das wohl nicht nur beim Thema Antisemitismus. --Patrick Fischer Quelle:
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